Konferenz: Warning the CityZens

«Naturschutz hat momentan keine Priorität, wenn das Land wichtigere Aufgaben zu bewältigen hat» – Wie sieht die Umweltpolitik Russlands während des Krieges aus? 

Der Krieg dauert seit zweieinhalb Jahren an, und trotz schwieriger Bedingungen setzen Umwelt- und Naturschutzorganisationen ihre Arbeit in Russland fort. Wie hat sich die Umweltpolitik des Landes verändert, und mit welchen Herausforderungen müssen diejenigen umgehen, die ihrer Mission treu geblieben sind? Darüber haben wir mit der Leiterin einer russischen Umwelt-NGO, Viktoria P. [Name aus Sicherheitsgründen geändert — Anm. d. Red.], gesprochen. 

[Die NGO beschäftigt sich mit Analyse und Beratung im Bereich des Umweltschutzes und des Klimawandels. Die Organisation unterstützt Privatpersonen, Kommunen und Unternehmen bei der Auswahl erneuerbarer Energiequellen, hilft, Energiekosten zu senken und leistet Bildungsarbeit in verschiedenen umwelt- und klimarelevanten Themenbereichen.] 

Freibrief für Umweltverschmutzung 

Das Gespräch beginnt mit der Frage, wie sich die staatliche Umweltpolitik in Russland nach Beginn des Krieges verändert hat. Viktoria stellt fest, dass im März 2022 ein Gesetz verabschiedet wurde, das die Kontrolle über Unternehmen erheblich erleichtert und unangekündigte Überprüfungen, auch im Umweltbereich, abschafft. Dies gab Unternehmen mehr Freiheit, mit ihren Emissionen und Abfällen nach eigenem Ermessen umzugehen. „In vielen Umweltfragen hat die Wirtschaft sozusagen einen Freibrief für Verschmutzung erhalten“, betont die Gesprächspartnerin. 

Schon einige Jahre zuvor wurde die staatliche Umweltprüfung für neue Projekte vereinfacht, und im Jahr 2000 wurde das staatliche Komitee für Ökologie abgeschafft. Viktoria weist darauf hin, dass eine klare Tendenz zur Lockerung der Umweltkontrolle zu erkennen ist, die sich seit 2022 weiter verstärkt hat. 

Sie verweist auch auf bestimmte Industriezweige, die auf staatlicher Ebene als Schlüsselbereiche der Wirtschaft des Landes gelten. Solche Unternehmen sind faktisch unangreifbar – zivilgesellschaftliche Kontrollinstrumente, die zuvor zur Überwachung von umweltschädlichen Unternehmen eingesetzt wurden, funktionieren nicht mehr, und die Zivilgesellschaft kann solche Unternehmen nicht mehr kritisieren. „Im Moment geht es nicht um den Schutz der Natur – das Land hat wichtigere Aufgaben zu bewältigen“, fasst Viktoria zusammen. 

Ausländische Agenten und unerwünschte Organisationen: Umweltschutz unter Beschuss 

Der Krieg und die militaristische Rhetorik des Staates haben die Arbeit öffentlicher Umweltorganisationen stark beeinträchtigt. Viktoria erklärt, dass Umweltorganisationen in den Augen der Beamten quasi zu Menschenrechtsorganisationen geworden sind, was sich auf ihre Arbeit ausgewirkt hat. 

Laut dem russischen Sozial- und Umweltbund wurden 2023 drei Organisationen als „ausländische Agenten“ eingestuft, und fünf wurden als „unerwünscht in der Russischen Föderation“ erklärt. Die prominentesten Fälle waren die Einstufung von Greenpeace und WWF Russland als „unerwünschte“ Organisationen. 

„Die Arbeit von Naturschutzorganisationen zielt darauf ab, Veränderungen zu bewirken; das bedeutet, ständig die Behörden anzusprechen. Unsere Appelle an Entscheidungsträger, etwas zu ändern, wie z. B. Gesetzgebung oder Umweltschutzmaßnahmen, bedeuten, dass sie etwas falsch oder unzureichend machen, was letztlich eine Kritik an der Regierung darstellt. Und Kritik, auch mit den besten Absichten, ist derzeit unerwünscht und riskant, was unsere Arbeit stark behindert. Aus diesem Grund bleiben wir im Bereich harmloser Bildungsprogramme: Beratung, Hilfe bei der Bewertung des Umweltzustands oder Unterstützung bei der Suche nach umweltfreundlicheren Lösungen“, erklärt die Gesprächspartnerin. 

„Kann man in Russland als Umweltaktivist tätig sein und dabei unpolitisch bleiben?“ 

„Die Arbeit öffentlicher Organisationen kann nicht unpolitisch sein, weil sie in der Regel auf Veränderungen abzielt, und Veränderungen sind Politik. Denken wir an das Jahr 2013, als das Gesetz über ausländische Agenten verabschiedet wurde. Nach diesem Gesetz sollte jeder, der in die Politik eingreift und aus dem Ausland finanziert wird, als ausländischer Agent eingestuft werden. In der Praxis begann das Gesetz jedoch anders zu funktionieren: Selbst ohne ausländische Finanzierung wurden Organisationen zu ausländischen Agenten erklärt, unabhängig von ihrer Beteiligung an der Politik. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen versuchten zu betonen, dass sie sich nicht in die Politik einmischen, da Politik ihrer Meinung nach Wahlen sind, an denen sie nicht teilnehmen und keine Kandidaten in politischen Kämpfen unterstützen.“ 

Dennoch erklärten die staatlichen Stellen nicht, dass sie unter Politik etwas ganz anderes verstanden. Selbst Maßnahmen wie Umweltbildung oder die Meinungsbildung in der Öffentlichkeit wurden als politisches Eingreifen betrachtet. So glaubten die Organisationen zwar, dass sie nicht in die Politik involviert waren, doch in Wirklichkeit konnten sie indirekt die Prozesse beeinflussen, die die Staatspolitik formen. 

„Hat sich die Umweltgemeinschaft seit Anfang 2022 verändert?“ 

„Sie hat sich enorm verändert, da viele ihrer starken Akteure gezwungen waren, im Ausland oder unter eingeschränkten Bedingungen zu arbeiten. Ihr Einfluss hat sich erheblich verringert. Die Partner, die noch hier sind, sind noch verschlossener geworden. Alle sind sehr vorsichtig, versuchen, nur ‚loyale Arbeitsformen‘ zu nutzen und minimieren den Kontakt mit Kollegen. Natürlich pflegen wir auf persönlicher Ebene weiterhin gute Beziehungen. Aber wenn es um gemeinsame Arbeit geht, ist die Angst da: Was, wenn deine Organisation morgen als ‚unerwünscht‘ eingestuft wird und ich dich aus der Liste der Partner streichen muss? Das erschwert das Leben erheblich“, erklärt Viktoria. 

Der Krieg hat nicht nur das Geschehen innerhalb Russlands im Bereich des Umweltschutzes beeinflusst, sondern auch die internationale Zusammenarbeit negativ beeinträchtigt. Viktoria weist darauf hin, dass nun eine deutliche Hinwendung zu Indien und China zu beobachten ist. 

„Früher hatten wir grenzüberschreitende Projekte, zum Beispiel mit Finnland. In diesen Projekten waren Unternehmen, Regierungsbehörden und private Organisationen beteiligt. Wir arbeiteten zu Themen wie Flüssen und Kanälen, Entwicklung von Regionen und Transport. Wir kooperierten mit Finnland, Estland, Lettland. All das ist von einem Tag auf den anderen zum Stillstand gekommen.” 

Worüber machen sich die Russen Sorgen? 

„Kommen wir zurück zu dem, was derzeit in Russland vor Ort passiert. Welche Umweltprobleme beschäftigen die Russen?” 

„Das mag subjektiv sein, aber ich sehe, dass den Menschen immer das näher ist, was sie persönlich betrifft: saubere Luft, sauberes Wasser, ein sauberer Hof, keine Müllberge und die Kosten für Versorgungsleistungen.” 

Viktoria fügt hinzu, dass die Arbeit ihrer Organisation darin besteht, den Menschen die Verbindung zwischen Energieeffizienz, der Senkung der Stromkosten und den positiven Auswirkungen auf das Klima aufzuzeigen. Dies betrifft auch die Heizung: gut isolierte Fenster, Türen und sogar richtig platzierte Möbel in der Wohnung führen zu Energieeinsparungen, was sich positiv auf die Ausgaben auswirkt und den Klimawandel abmildert. 

„Wie unterscheiden sich die Umweltprobleme von Region zu Region?” 

„Wie bereits erwähnt, gibt es allgemeine Probleme: sauberes Wasser und saubere Luft. Für manche ist saubere Luft ein unerreichbarer Traum, weil in der Stadt ein umweltbelastendes Unternehmen operiert. Der Kuschtau-Berg in Baschkortostan ist ein Beispiel für ein lokales Umweltproblem. Man wollte ihn abtragen, um Soda zu produzieren. Damals gelang es den Bewohnern, ihn als kulturhistorischen Wert für die Region zu schützen. Auch der Versuch, Moskauer Müll in das Gebiet Archangelsk (Siedlung Schijes) zu transportieren, wurde von den Menschen erfolgreich gestoppt. Sauberes Wasser und saubere Luft sind immer allgemeine Anliegen, aber wenn eine Katastrophe droht, wehren sich die Menschen dagegen“, erklärt Viktoria. 

Das Abfallproblem bleibt ebenfalls eines der dringendsten Themen für viele Einwohner Russlands, insbesondere in dicht besiedelten Regionen wie Moskau und dem Moskauer Gebiet, der Region Krasnodar und Sankt Petersburg. Russische Behörden sehen die Lösung des Müllproblems im Müllverbrennen: Ende 2019 wurde die Müllverbrennung der Entsorgung, also dem Recycling von Abfällen, gleichgestellt. Diese Entscheidung der Behörden stieß jedoch nicht überall auf Zustimmung – die Bewohner von Städten, in denen Müllverbrennungsanlagen gebaut werden sollen, sehen darin eine Bedrohung für ihre Gesundheit. 

Viktoria betont, dass eines der Hauptprobleme bei Müllverbrennungsanlagen in Russland deren mangelnde Kontrolle ist. Als Beispiel nennt sie die Schweiz: Dort unterstehen die Anlagen der jeweiligen Gemeinde, in der sie sich befinden, sodass die örtlichen Behörden ein großes Interesse an einer strengen Kontrolle der Müllverbrennung haben. Sie weist auch auf die allgemeine Kultur des Landes hin, die die Funktionsweise des gesamten Entsorgungssystems beeinflusst. 

„Ich war in Ungarn in einer Müllverwertungsanlage, wo uns auch Deponien gezeigt und die Verbrennungstechnologie erklärt wurden. Ja, hohe Temperaturen zerstören gefährliche Dioxine, aber auf den letzten Zentimetern des Schornsteins, wo die Temperatur sinkt, bilden sie sich teilweise wieder aus den Rauchgasen und setzen sich in der Umgebung ab, wenn sie aus dem Schornstein austreten. Wir fragten, ob sie Bodenproben rund um die Anlage nehmen. Die Antwort war – nein. Als ich dies in Großbritannien mit Spezialisten diskutierte, sagten sie, dass sie solche Probleme nicht hätten, während Ungarn ihrer Meinung nach ‚eben der Osten sei, nicht ganz Europa‘“, berichtet Viktoria. 

Klimapolitik in Russland 

„Was passiert derzeit in der russischen Klimapolitik?” 

„Es gibt zwei Bereiche: Anpassung und Minderung. Der Klimawandel findet bereits statt, und wir beginnen, seine Folgen in unserem Alltag zu spüren: Das Wetter wird unberechenbar, Dürren und Hitzewellen nehmen zu, ebenso wie die Zahl der Hurrikane und Stürme. Deshalb müssen wir uns an diese Veränderungen anpassen und Maßnahmen ergreifen, um uns zu schützen. Jede Stadt, jede Region und sogar jedes Haus braucht eigene Anpassungspläne. Es gibt sogar einen nationalen Plan zur Klimaanpassung, der die Entwicklung sektoraler und regionaler Maßnahmen umfasst.“ 

Laut Viktoria verlief die Entwicklung von Anpassungsmaßnahmen auf regionaler Ebene jedoch schleppend, und das Ergebnis war weit entfernt von den Erwartungen. Sie fügt hinzu, dass die Regionen aufgrund des Mangels an qualifizierten Fachkräften alles in ihre Klimapläne aufnahmen, was nicht nur mit dem Klima, sondern auch mit dem Umweltschutz zu tun hatte. 

„Sammeln wir alles, was wir tun. Mülltrennung? — Fügen wir das hinzu. Begrünung? — Auch dazu. Maßnahmen des Zivilschutzes? — Auch das wird aufgenommen. So entstanden unspezifische Pläne in den Regionen. Im vergangenen Jahr startete die Agentur für strategische Initiativen ein Schulungsprogramm für Spezialisten, die in 35 Regionen Klimapläne betreuen. Wir sehen, dass im Bereich der Anpassung etwas getan wird: nicht vollständig, manchmal nicht ganz logisch, aber es wird etwas getan“, teilt Viktoria mit. 

„Minderung bedeutet die Reduzierung der menschlichen Auswirkungen auf das Klima, also die Verringerung der Treibhausgasemissionen in die Atmosphäre.“ Viktoria beklagt, dass sich in der Energiepolitik trotz zahlreicher Erklärungen über die Notwendigkeit, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu überwinden, in Wirklichkeit nichts ändert – weiterhin wird fossilen Energieträgern der Vorrang eingeräumt. Die Bemühungen zur Entwicklung erneuerbarer Energien sind minimal. 

„Das staatliche Programm zur Energieeffizienz, das 2010 gestartet wurde, lief bis 2017 praktisch aus, und heute weiß niemand, was damit passiert. Die Idee von Energiesparverträgen, bei denen Unternehmen anboten, die Energiekosten durch eigene Investitionen zu senken, war großartig, hing aber von günstigen Krediten ab, die es jetzt nicht mehr gibt. Vielleicht gibt es noch Kredite, aber sie sind für die breite Öffentlichkeit nicht zugänglich. Ein neues Energieeffizienz-Dokument wurde angenommen, aber ohne Finanzierung wird sich kaum etwas ändern“, sagt Viktoria. 

„Wie arbeiten derzeit NGOs im Klimabereich? Welche Möglichkeiten haben sie?“ 

„Ich sage es gleich: Es sind nicht viele. Nur wenige arbeiten im Bereich Klima. Der Schwerpunkt liegt auf der Bildung. Es gibt Organisationen, die sehr gute Bildungsprogramme zum Thema Klima durchführen. Manchmal sind es kurzfristige Projekte mit Studenten oder Schülern. Manchmal sind es langfristige Informationskampagnen. Wir arbeiten nicht direkt mit Schulen über die Schulleitung, sondern über engagierte Lehrer. Sie kommen, hören zu, nehmen Materialien mit und verwenden sie weiter. Solche Menschen sind selbst daran interessiert, und sie präsentieren das Thema auf interessante Weise, zum Beispiel durch Klimaspiele.“ 

Abschließend berichtet Viktoria über das Finanzierungsproblem, mit dem viele Umweltorganisationen konfrontiert sind. Ihrer Meinung nach sind die Finanzierungsquellen drastisch zurückgegangen. Sie merkt an, dass der Präsidentenfonds für Zuschüsse zwar funktioniert, aber nicht ausreicht, da ein großer Teil der Gelder für die Veranstaltungen selbst aufgewendet wird, während für die Gehälter der Mitarbeiter, die diese Veranstaltungen organisieren, kaum noch Geld übrig bleibt. Außerdem können NGOs nicht ständig vom Geld des Fonds leben – irgendwann kann der Antrag auf Finanzierung abgelehnt werden, und dann ist die Existenz der Organisation bedroht. 

„Trotzdem geben die Menschen nicht auf. Alle, die weiterarbeiten, leben seit zweieinhalb Jahren unter diesen neuen Bedingungen. Wir hoffen immer noch, dass wir es schaffen und unsere gesammelten Erfahrungen effektiver nutzen können. Wir tun alles, um sicherzustellen, dass unsere Gemeinschaft ihr Potenzial nicht verliert, dass das Wissen und die Arbeitsinstrumente nicht verloren gehen, sondern trotz aller Schwierigkeiten weiterentwickelt werden“, berichtet Viktoria. 

Übersetzung des russischen Artikels von Evgenii Aniskov mithilfe von Chat GPT 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Skip to content